Digitaler Seemannssonntag
Online-Gesprächsrunde zu Fragen maritimer Strategie, Sicherheit und Meer
Schwierige Zeiten erfordern kluge Initiativen und bringen zuweilen auch neue Ideen zum Vorschein. Da sich die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie und der einhergehenden Kontaktbeschränkungen – wie in fast allen Lebensbereichen – auch auf den direkten, interdisziplinären Austausch der „maritimen Community“ auswirkten, begann das Center for Maritime Strategy & Security (CMSS) des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel (ISPK) im Frühjahr 2020 mit der Durchführung einer wöchentlich stattfindenden, maritimen Gesprächsrunde im Onlineformat: dem digitalen Seemannssonntag.
Der Seemannssonntag ist international bekanntes und gängiges Marinebrauchtum. Das CMSS knüpft an diese Tradition an und nimmt sie zum Anlass, um zwanglos, gerne auch bei Verzehr von Kaffee und Kuchen vor der heimischen Webcam, den Austausch zu maritimen Themen auch weiterhin fortzuführen. Im Format "Unter zwei" (off the record) fanden in diesem Sinne im Frühjahr/Sommer 2020 zehn offene Veranstaltungen statt. Zu jeder Diskussionsrunde brachte jeweils ein Referent einen thematischen Impuls ein, um damit den Anstoß für die anschließende Diskussion aller Beteiligten zu geben.
Den Beginn der Veranstaltungsreihe machte Dr. Sebastian Bruns, Leiter des Center for Maritime Strategy & Security am ISPK. An den allgemeinen Gegebenheiten orientiert lag die Anfangsveranstaltung ganz im Lichte der COVID-19-Krise und ihrer Auswirkungen auf Seestreitkräfte. Weitere Impulse von Dr. Bruns in befassten sich im Rahmen der Gesprächsrunden mit dem Nutzen von etwaigen Lazarett- bzw. Hospitalschiffen unter deutscher oder europäischer Flagge, sowie mit der Rolle von Seestreitkräften im Südchinesischen Meer. Fragen von Technik, Innovationen und Beschaffung wurden von Dr. Heiko Borchert (Borchert Consulting & Research, Luzern) und Hans-Uwe Mergener (Redakteur Marine, Mittler-Verlag) dargelegt. In zwei Seemannssonntagen referierte Dr. Borchert zu Entwicklungen und Trends von unbemannten Systemen in, auf und unter See, während Hans-Uwe Mergener mit einem eigenen Impuls weiterführend die Frage des Überwasserschiffbaus und etwaiger Schlüsseltechnologien erläuterte.
Auch von Seiten der Deutschen Marine wurde ein Impulsvortrag eingebracht. Korvettenkapitän Tanja Merkl, Kommandantin FGS DATTELN, stellte in ihrem Vortrag Herausforderungen der inneren Führung für die Marine dar, insbesondere im Kontext einer sich immer weiter individualisierenden Gesellschaft. In weiteren Diskussionsrunden stellten Angehörige des ISPK mit ihrer Expertise unterschiedliche thematische Schwerpunkte der jeweiligen Sitzungen in den Vordergrund: Tobias Kollakowski, Non-Resident Fellow am ISPK und Doktorand am King’s College London, referierte zu den Seestreitkräften der Russischen Föderation und ihrer heutigen Aufgaben und Ziele. Julian Pawlak, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am ISPK, stellte die neue EU-Marinemission IRINI, die Zielsetzungen der Operation und etwaige Probleme vor. Den Abschluss der zehn Seemannssonntage machte Dr. Joachim Weber, Non-Resident Fellow am ISPK, mit einem Impuls zu sicherheitspolitischen Entwicklungen in der Arktis.
"Zweite Staffel" von September bis November 2020
Das rege Interesse an einem wöchentlichen Austausch zu Fragen maritimer Strategie und Sicherheit, das breite und diverse Feld an Diskutanten, bestehend aus Wissenschaftlern, aktiven und ehemaligen Streitkräfteangehörigen, Pressevertretern, Beamten aus Behörden wie dem Auswärtigen Amt, Studierenden oder allgemein maritim-interessierten zeugte von einem vollen Erfolg des Formates eines digitalen Seemannssonntages. Mit Abschluss der zehnten Veranstaltung ging die Gesprächsrunde zunächst in die Sommerpause, ehe im September 2020 mit Holger Schlüter, Redakteur der deutschlandweit bekannten Fachzeitschrift MarineForum, die Rückrunde eingeleitet wurde.
Auch für die damit begonnene „zweite Staffel“ der digitalen Seemannssonntage konnte das Team des Center for Maritime Strategy & Security am ISPK zahlreiche hochqualifizierte Redner zu Themen mit maritimer Relevanz gewinnen, wobei die thematische Bandbreite auch in diesen Wochen zu überzeugend wusste. Einerseits wurde der Blick auf aktuelle maritime Herausforderungen mit Konfliktpotential gelegt: PD Dr. Jan Asmussen (Christian-Albrechts-Universität zu Kiel) legte einen Fachvortrag zu den Komplikationen im östlichen Mittelmeer vor, während Dr. Dirk Siebels (Risk Intelligence, Kopenhagen) die derzeitige Situation der Piraterie im Golf von Guinea erläuterte. Patrick O’Keefe, non-resident Fellow der Abteilung Asien & Pazifik am ISPK, stellte die heutige Position Chinas zu den Weltmeeren und das chinesische Raumfahrtprogramm dar.
Einen Spagat zwischen der Relevanz des Historischen und der Aufbearbeitung dessen für die Gegenwart vermochte Carsten Siegels zu vollführen. Der Mitarbeiter des Deutschen Marinemuseums in Wilhelmshaven stellte die sich derzeit in Entwicklung befindende Neukonzeption der historischen Ausstellung vor. Im Kontrast dazu ging Sebastian Schwarz auf aktuelle und zukünftige maritime Fähigkeiten ein. Der Wissenschaftler der TU Darmstadt stellte ein von ihm publiziertes Papier zu unbemannten Systemen auf Flugzeugträgern vor.
Marineführung, Wasserschutzpolizei und Wissenschaft
Auch die Führung der Deutschen Marine war in der Runde der digitalen Seemannssonntage vertreten. Vizeadmiral Rainer Brinkmann, Stellvertreter des Inspekteurs und Befehlshaber der Flotte und Unterstützungskräfte, nahm sich die Zeit und stellte die derzeitigen operativen Herausforderungen der Deutschen Marine in der Ostsee vor. Als einen weiteren hochrangingen Vertreter der deutschen Seestreitkräfte durfte in einer weiteren Ausgabe Kapitän zur See Thorsten Bobzin, Kommandeur des Marinefliegerkommandos in Nordholz, begrüßt werden. KzS Bobzin stellte die vielseitigen Aufgaben und Herausforderungen der Marinefliege im Rahmen heutiger Operationen und Einsätze, aber auch im Sinne der Landes- und Bündnisverteidigung vor.
Schließlich bot der digitale Seemannssonntag auch weiteren Praktikern das Wort. Till Andrzejewski vertrat die Wasserschutzpolizei Niedersachsen in Brake (Unterweser) und stellte die Aufgabenbereiche und Herausforderungen der Wasserschutzpolizei im Binnenschiffsverkehr sowie vor den Küsten dar und ging insbesondere auf die Relevanz kritischer Infrastrukturen zur See ein. Thomas Wunderlich wurde im November für den 20. Seemannssonntag eingeladen und konnte somit die Veranstaltungsreihe abschließen. Der Kapitän der Polarstern referierte von seinen Erfahrungen im Rahmen der MOSAiC-Expedition in der Arktis und berichtete aus erster Hand über den Spagat zwischen Klimawandel und Militarisierung in der Region. Mit diesem spannenden Impuls wurde nicht nur ein wichtiges Themengebiet beleuchtet, sondern die Relevanz einer weiterführenden Diskussion maritimer Thematiken und Herausforderungen über den Tellerrand einer jeden Disziplin hinaus unterstrichen. Das Format des digitalen Seemannssonntages bot in diesem Sinne eine passende Plattform für Teilnehmerinnen und Teilnehmer verschiedenster Richtungen und hat damit seinen Teil dazu beigetragen, den deutschsprachigen maritimen Diskurs auch im Jahr 2020 weiter zu vertiefen.